Vorurteile helfen dem Geist, Dinge und Gegebenheiten schnell einzuordnen und bewerten zu können. Jeder Reisende hat Vorurteile, seien sie nun gut oder schlecht. Sind sie gut, nennt man sie vermutlich Erwartungen. Sind sie schlecht, sind es Vorurteile. Bald darf ich das fünfzigste Land auf meinem Reisekonto verbuchen und da kann ich behaupten, Reiseerfahrung zu besitzen. Doch auch wenn ich nahezu immer vorurteilsfrei aus einem Land herausgehe, so gehe ich mit einem hübschen Blumenstrauß voller bunter Vorurteile in ein Land hinein. Auch das macht eben Reisen aus. Doch bei keinem Land, das muss ich gestehen, war der Vorurteilsblumenstrauß so groß, wie bei Indien. Ein ganzer Vorurteilswald! Ist Reisen in Indien sicher (Jein)? Bekommt wirklich jeder Reisende Magenprobleme in Indien (Ja…)? Ist Reisen in Indien wirklich so nervenzehrend (Ja!)? Und ist der ganze Stress eine Reise nach Indien überhaupt wert (Ja!!!)?
Wir entscheiden uns für eine geführte Tour
Eine Rundreise durch Indien war eigentlich von vornherein auf unserer Weltreise nicht geplant. Da wir aber vor der südostasiatischen Regenzeit nach Sri Lanka geflohen sind, schien uns eine Reise durch Indien naheliegend, wenn wir schon einmal in der Gegend sind… Nach über hundertfünfzig selbstorganisierten Reisetagen auf dieser Weltreise haben wir uns bei unserer Indienreise dazu entschieden, eine geführte Tour zu machen. In den kommenden drei Wochen wird ein indischer Tourguide uns und unsere zwölf Mitreisenden durch Rajasthan führen und uns Entscheidungen, Organisation und Recherche abnehmen. Wie wundervoll! Und gleich vorweg: Das hat sich gelohnt! Unsere Tour hört auf den Namen „Rajasthan and Varanasi on a shoestring“ und kann bei GAdventures direkt oder auch bei STAtravel gebucht werden. Wir haben ein Sonderangebot erwischt und anstelle der sonst fälligen 900-1100 Euro (schwankt je nach Datum) nur 680,- Euro bezahlt. Schnapper, oder?
Die Einreise: Im Vorfeld aufwendig, dann ganz leicht
Zwei Tage vor unserer Tour befinden wir uns im Landeanflug auf Delhi. Schon aus der Luft werden wir uns der Größe dieser Stadt bewusst: 26 Millionen Menschen leben in der Metropolregion Delhi, ein Drittel von ganz Deutschland. Und weil wir ja in den kommenden Wochen einen Guide an der Hand haben, beschließen wir, unsere ersten zwei Tage außerhalb von Neu-Delhi in Guargaon zu verbringen. Zwei Tage „Erstmalankommen“, Ruhe und gutes Internet. Essen vom Lieferdienst, einfach mal nicht das Bett verlassen. Nur 20 Minuten vom Flughafen Delhi entfernt, eignet sich das Bed n Oats dafür absolut perfekt! Es ist die beste Unterkunft, die wir auf unserer Indienreise haben sollten.
Die Einreise nach Indien selbst gestaltet sich übrigens als ziemlich unproblematisch. Ausdruck des zuvor beantragten E-Visums (65,- US-Dollar) vorzeigen, in die Kamera gucken, Fingerabdrücke abgeben und fertig. Von Cosi waren die Grenzbeamten derart angetan, dass sie auch gleich noch ein paar lächelnde Fotos in die Kamera abgeben durfte. Das Ausfüllen des e-VISA Antrages online im Vorfeld ist allerdings ein richtiger Marathon, dafür unbedingt Zeit einplanen!
Nach diesen zwei Tagen schnappen wir uns ein Uber-Taxi und lassen uns direkt zum Gruppentreffpunkt fahren. Das Hotel Perfect, das zwar nett aber ganz und gar nicht perfekt ist, ist der Start- und Endpunkt unserer Rundreise durch Rajastan. Dort treffen wir unsere Gruppe: Wir zwei Deutschen, ein Belgier, zwei Kanadierinnen, zwei Australier, eine Angolanerin und sechs Britinnen sind der bunt zusammengewürfelte Haufen, der nun drei Wochen Indien unsicher machen wird. Reisen von Gadventures sind weltweit buchbar und daher sind die Reisegruppen auch immer international zusammengewürfelt, das gefällt uns!
Neu-Delhi: Das Chaos ist perfekt
Wer behaupten würde, Neu-Delhi sei eine schöne Stadt, der scheint ein seltsames Verständnis von „schön“ zu haben. Noch nie in meinem Leben ist mir auf einen Schlag derart viel Lautstärke, Dreck und Gewusel entgegengeschwappt, wie in Neu-Delhi. Die ganze Stadt ist ein absolutes Chaos in jeglicher Hinsicht. Wer sich durch Neu-Delhi bewegt, der braucht entweder eine tiefe innere Ruhe, Nerven aus Stahl, Beruhigungsmittel oder Ohr- und vor allem Nasenstöpsel. Nur Hanoi kann meiner Meinung nach mit dem Verkehrshorror mithalten, mit dem Neu-Delhi uns überschüttet. Autos, Roller, Tuktuks, Rikschas, Fahrräder, Fußgänger, meterhohe Handkarren, Kühe, Hunde, Schweine, Ratten. Das und so viel mehr findet Platz auf zigspurigen Straßen, die eigentlich auch keine Spuren brauchen, da sich sowieso niemand an irgendwas hält. Alles geht einher mit einem unfassbar intensiven Präventivgehupe, Herumgefluche, -geschubse und -gedrängel.
Delhi ist in jeglicher Hinsicht ein Fest für alle Sinne, im Positiven wie im Negativen. Orientalische Gewürze wechseln sich ab mit Kuhscheiße, und der Geruch zusammengepantschten Diesels wird vom süßlichen Duft frischer Rosen verdrängt. Im Sekundentakt geht das so und um das zu verstehen, muss man es selbst erlebt haben, da reichen Worte nicht mehr, glaub mir. Und so sind wir schon am ersten Tag froh über die Entscheidung, uns durch dieses unendliche Chaos mit einem Guide führen zu lassen. Bhagu, unser Guide, spricht sehr gutes Englisch, ist hilfsbereit, lustig, rücksichtsvoll und gibt sein Allerbestes. Er selbst stammt aus Jodhpur, ist 26 Jahre alt und mit Herz und Seele Reiseführer. Sein Land möchte er zeigen, mit Vorurteilen aufräumen, zum Besseren beitragen.
Ein Rundgang durch Delhis ärmste Viertel öffnet Augen
Bhagu setzt gleich zu Beginn an einem sehr neuralgischen und nachdenklich machenden Punkt an. Ein ehemaliges Straßenkind der Slums von Neu-Delhi gibt uns einen kleinen Einblick in ihre ehemalige Welt. Die Gewinne aus den GAdventures Touren durch Indien kommen zu einem Großteil den Menschen vor Ort zugute und so wird ein Teil des Geldes dazu verwendet, Delhis Kinder von den Straßen zu holen. Wir wuseln durch Labyrinthe von Straßen, Gassen, Unterführungen und Hinterhöfen. Eine Parallelwelt, in der unsere Orientierung scheitert, das GPS versagt und in der wir ohne Führung vermutlich verloren wären. Der Müll stapelt sich, die Wellblechhütten biegen sich unter ihm. Das Elend ist hier spür- und sichtbar und gibt uns spätestens jetzt die Gewissheit: Wir sind angekommen und ja, dieses Land ist an vielen Stellen wirklich, wirklich verdammt arm. Das macht uns nachdenklich und betroffen und so halten wir in den wirklich beklemmenden Momenten aus Rücksicht die Kamera gesenkt, Armutstourismus, und sei er noch mit einem gutem Zweck im Hinterkopf, ist nichts für uns. Und dennoch hat dieser Ausflug in die Armut Delhis auch dazu beigetragen, unsere Sinne für die Probleme dieses Landes zu schärfen.
Lal Qila: Das Rote Fort von Delhi
Eines der Highlights eines jeden Besuchers in Neu Delhi ist das Red Fort. Das Rote Fort ist UNESCO Weltkulturerbe und wurde vor fast vierhundert Jahren durch die Mogule erbaut. Heutzutage ist es eines der Highlights für Besucher aus aller Welt. Insbesondere Architektur- und Detailverliebte werden hier ihre helle Freude haben und auch Geschichtsfreunde können durch den mehrsprachigen Audioguide eine Menge über die Historie Indiens erfahren. Und für wen sich Delhi als Kulturschock erweist, was ich verdammt gut verstehen kann, der findet hier dank des für das günstige Indien verhältnismäßig hohen Eintrittes von 500,- Rupien für Touristen (ca. 6 Euro) ein wenig Ruhe und Entspannung auf der gefühlt vielleicht einzigen Rasenfläche der Stadt. Hat uns ehrlich gesagt nicht überzeugt. Einheimische zahlen hier übrigens nur 5 Rupien (ca. 6 Cent). Das ist hier, wie überall sonst auch in Indien, Touristenrassismus. Schade.
Die Jama Masjid Moschee über den Dächern von Delhi
Schon mehr nach unserem Geschmack ist da die Jama Masjid Moschee. Als eine der größten Moscheen der Welt trohnt sie auf einem Hügel über der Stadt und kann bis zu 20.000 Gläubige auf ihrem Innenhof unterbringen. Das entspricht einem mittelgroßen Fußballstadion. Sowieso ist Indien, das merken wir schnell, ein sehr multireligiöser Ort. Hier leben mehrheitlich Hindus neben Moslems und Sikhs. Christen, Juden und andere Religionen sind hier in der Minderheit, aber im Großen und Ganzen herrscht ein friedliches und respektvolles Miteinander. So unser Eindruck. Das erinnert mich ein wenig an Jerusalem, wo es allerdings nicht ganz so reibungslos läuft.
Für uns sind hier die Highlights die malerische Architektur vor dem beeindruckenden Großraum oder die grandiose Aussicht über die Millionen Stadt Neu-Delhi von einem der beiden Minarette. Für so ziemlich alle anderen Touristen scheinen wir allerdings die Attraktion schlechthin zu sein. Eine Gruppe hellhäutiger Menschen erregt in Indien auch in 2018 noch jede Menge Aufsehen, wenn dann auch noch blonde Frauen dabei sind, gibt es gar kein Halten mehr: Schon fast wie Popstars möchte auf einmal jeder (und jede) Umstehende ein Foto mit den Mädels ergattern und so bildet sich auf dem Zwanzigtausendleuteplatz eine große Menschentraube, die brav der Reihe nach Fotos mit den exotischen Touristen machen möchte. Eine interessante und lustige Erfahrung, die uns in Indien noch öfters begegnen sollte.
Nur einen vollen Tag haben wir im Millionenmolloch Delhi verbracht und nachdem wir den wuseligen Gewürzmarkt der Stadt besucht und uns unseren Heimweg durch das Verkehrschaos mit Tuktuk und der (hervorragenden) U-Bahn von Delhi gebahnt haben, fallen wir erschöpft in unsere Hotelbetten. Delhi ist Chaos, Delhi ist Reizüberflutung. Delhi ist so viel was es nicht sein sollte und so viel, was es noch werden kann. „Probleme sind Chancen und Probleme hat Indien eine ganze Menge“ heißt es in einem Bollywoodfilm, den wir uns später anschauen sollten und das merkt man gerade in der Hauptstadt gefühlt an jeder Ecke. Und so sehr Delhi uns anstrengt und an den Nerven zehrt, so wenig möchten wir diese Erfahrung missen, die man braucht, wenn man Indien ansatzweise verstehen möchte.
Schöne Reisebericht!
Auch wenn das Rote Fort von den Mogul und nicht den Mongolen gebaut wurde ;)