Vielleicht ist es mit die beste Einstellung an ein Reiseziel, keine Erwartungen zu haben. Schon oft bin ich in ein Land oder eine Stadt mit gewaltigen Erwartungen gereist und selten ist dabei etwas gutes herausgekommen, sehr selten. Ohne Erwartungen allerdings habe ich wunderschöne Fleckchen Erde wie Granada in Nicaragua, das Death Valley in den USA oder das indische Udaipur kennen und lieben gelernt. Mit genau dieser (also keiner) Erwartungshaltung setzen wir nach einem turbulenten Landeanflug aus Bali kommend auf dem Rollfeld des Flughafens von Taipeh auf. Eine dreiwöchige Rundreise durch das ferne Taiwan steht auf dem Programm!
Unser erster Schritt nach Ostasien
Taipeh ist unser allererster Berührungspunkt mit Ostasien. Während wir in Südasien und auch Südostasien quasi jedes Land bereist und erlebt haben, setzen wir hier in Taiwan das erste mal einen Fuß nach Ostasien (Kleine Ausnahme, jedenfalls für mich: Eine Woche Hongkong). Aus der Ferne mag das alles wie „Das Asien“ aussehen, aber dieser riesige Kontinent unterscheidet sich von Himmelsrichtung zu Himmelsrichtung ganz erheblich. Niemand würde schließlich in Europa so weit gehen und Island und Griechenland eine größere Ähnlichkeit bescheinigen, oder? Während wir in beispielsweise Myanmar, Sri Lanka, Laos oder Indien teure Visa mit kurzem Aufenthalt benötigen, ist die Einreise in Taiwan als Deutscher Staatsbürger denkbar einfach: Ankommen, Pass zücken, lächeln, Fingerabdrücke und drei Monate frei in Taiwan bewegen. Kosten? Keine. Genau so sollte es doch eigentlich überall sein. Gleich vorweg: Taiwan ist ein technologisch extrem fortschrittliches Land: Ob Roboter, die im Supermarkt Kaffee zubereiten, Leihfahrräder, die man mit dem Handy ausleihen kann oder pfeilschnellem und unbegrenzten (!!!) LTE-Internet selbst in der tiefsten U-Bahn: Taiwan hat es drauf! Aber auch ganz grundsätzlich unterscheidet sich das Land vom Lebenstandard her erheblich vom Südosten und Süden des Kontinents, es fühlt sich schon fast an wie zu Hause, nur noch fortschrittlicher!
Die Unterkunft: Diesmal muss es ein Schlafsaal sein
Unsere Unterkunft in Taipeh für die nächsten vier Tage ist das Starbox Hostel. Gleich vorweg: Wir sind schon lange keine Schlafsaalfans mehr und haben auf unserer derzeitigen Weltreise notgedrungenerweise auch nur einmal in einem geschlafen. In Taipeh mussten wir wegen unserer sehr spontanen Entscheidung, nach Taiwan zu fliegen, aber mangels Alternative ab in den Schlafsaal. Das Starbox Hostel in Taipeh können wir allerdings weiterempfehlen: Es ist sauber, sehr ruhig, verdammt zentral gelegen mit pfeilschnellem Internet (100/100 MBit) ausgestattet, einem einfachen aber ausreichenden (und inkludierten) Frühstück und mit hilfsbereitem und Englisch sprechendem Personal. Letzteres ist in Taiwan nicht unbedingt gewöhnlich, denn gesprochenes Englisch ist hier nicht sonderlich verbreitet, auf Schildern und Hinweistafeln findet man es jedoch schon meistens.
Stadtrundfahrt für einen Euro: Das Leihfahrrad
Taipeh ist eine Stadt mit knapp zwei Millionen Einwohnern und da stellt sich natürlich schon die Frage, wie diese Metropole zu bewältigen ist. Was bisher für uns in Asien nie eine Option war, da der Verkehr oft regelrecht irre ist, ist in Taipeh das Mittel der Wahl: Das Leihfahrrad. Taipeh verfügt über ein dichtes Netz von mehreren hundert Leihfahrradstationen und mehrere tausend Rädern. Sie sind leicht zu fahren, in einem Topzustand und die Stadt macht es uns Touristen mit einem breit ausgebauten Netz an Fahrradwegen, Fahrradspuren und sogar Fahrradbrücken sehr leicht.
Doch wie kommt man an ein Leihfahrrad (Youbike / Ubike) in Taipeh? Ganz einfach mit der sogenannten Easycard. In jedem Supermarkt (Seveneleven / Familymart) und an jeder Metrostation gibt es die kleinen Karten mit den witzigen Motiven für derzeit 100,00 TWD (ca. 2,95 Euro) zum Kaufen und Aufladen. Einfach Guthaben auf die Karte laden, an das Fahrrad halten und schon kannst du losfahren:
- Erste 30 Minuten Leihfahrrad in Taipeh: 5,00 TWD (ca. 0,15 Euro)
- jede weitere 30 Minuten (bis 4 Stunden) 15,00 TWD (ca. 0,44 Euro)
- jede weitere 30 Minuten (ab 4 Stunden) 45,00 TWD (ca. 1,33 Euro)
Das eigentlich geniale an dieser Easycard aber ist, dass du in Taipeh, beziehungsweise eigentlich in ganz Taiwan, mit dem kleinen Ding die U-Bahn, die Busse, die Taxen, selbst Fernverkehrszüge und Einkäufe in unzähligen Shops und Supermärkten bezahlen kannst. Einfach dran halten und schwupps, ist der Betrag beglichen. Überschüssiges Guthaben kann man sich am Ende der Reise auch wieder auszahlen lassen, die kleine Karte ist also eine Allzweckwaffe. Wie genial ist das denn? Also am besten gleich nach der Ankunft im Flughafen eine Karte besorgen (gibt’s auch mit Hello Kitty), aufladen und losfahren. Auf den öffentlichen Nahverkehr gibt’s obendrauf bei Fahrten mit der Easycard 20% Discount. Eine absolute Hammerlösung für ganz Taiwan!
Okay, das "wie" haben wir geklärt, aber was gibt es denn nun in Taipeh eigentlich so zu sehen? Nun, neben den üblichen Tempeln, Shopping-Malls, Aussichtspunkten, Wahrzeichen und Parks ehrlich gesagt nicht viel. Das, was die Stadt für uns aber derart interessant macht, dass wir locker eine Woche hätten bleiben können, findet sich eher zwischen den Zeilen: Die Stadt ist irrsinnig entspannt, sehr facettenreich, und pulsierend. Wer mit dem Tourbus von A nach B fährt, um Tempel C und Denkmal D zu fotografieren, der wird aus Taipeh nicht allzu viel Interessantes mitnehmen. Und auch genau deshalb ist das Leihfahrrad für uns wieder die beste Fortbewegungsmethode. Du kannst es in der Stadt wirklich alle hundert Meter irgendwo abstellen dich so durch Taipeh treiben lassen, wie es dir beliebt.
Tempel in Taipeh: Etwas anders als gedacht
…und genau das machen wir auch! Zwar haben wir uns in den kommenden Tagen den einen oder anderen Spot in unserer Karten-App markiert, aber dazwischen lassen wir uns mehr als genug Zeit: Keine Eile lautet die Devise. Also stellen wir unsere Leihfahrräder vor unserem ersten Ziel, dem Mengjia Longshan-Tempel ab. Einen alten, chinesischen Tempel inmitten von Wolkenkratzern zu sehen, das trifft Taipeh in einem einzigen Bild mehr oder weniger ziemlich genau. Es ist schön zu sehen, dass dieser Tempel in erster Linie dem dient, wofür Tempel nun mal da sind: Dem Glauben. Denn anders als in Südostasien, wo so mancher Tempel in erster Linie für den Tourismus benutzt wird, finden wir hier kaum Touristen. Viel mehr in Gebete versunkene Menschen und Tische voller Opfergaben. Geopfert werden kann wirklich alles, um das Jenseits zufrieden zu stellen: Ganz klassische Blumenkörbchen entdecken wir genau so, wie Äpfel, Kiwis, Packungen voller Kekse, Milka-Schokolade oder sogar einen elektrischen Reiskocher. Ey, wer opfert sowas!? An einem goldenen Behältnis in der Mitte des Innenhofs stehen die Menschen, halten gebetsversunken alles mögliche in den Rauch von Räucherstäbchen: Autoschlüssel, Flugtickets, Lottoscheine. Das soll vermutlich Glück bringen. Ob es hilft, sei dahingestellt, schön zu beobachten ist es aber allemal!
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Manche opfern Blumen… -
…manche eben Kekse. -
Dieser Mann gedenkt… -
…mit Räucherstäbchen
Der Mikrokosmos der Gassen: Einfach mal abtauchen
Danach schlendern wir gemütlich durch die kleinen Gassen von Taipeh. In dieser so fortschrittlichen Metropole ist es schön zu sehen, dass sich das wahre Alltagsleben, wie in Asien üblich, auch hier noch zwischen den Häusern abspielt, die Stadt ist ein Mikrokosmos für sich: Wir rutschen hinein in kleine überdachte Gässchen voller Verkäufer der verschiedensten Waren: Ob Fisch, Fleisch, Backwaren oder komisches, undefinierbares Zeugs, von dem ich nicht weiß, ob ich es mir an die Wand hängen, damit malen oder es essen kann, alles finden wir hier.
Die Gassen spucken uns wieder aus und als hätten wir es geplant, stolpern wir quasi direkt in den Bopiliao Historical Block hinein. Es ist ein alter Stadtteil aus dem Jahre 1799, der in Taipeh erhalten wurde. Es ist eines der touristischen Highlights der Stadt und zeigt einmal mehr, warum Taipeh eben nicht wegen seines grandiosen Sightseeings berühmt ist. Es ist eben auch nur ein Viertel mit Backsteingebäuden. Die eine oder andere Asiatin hat sich hier aber für ein Instagram-Fotoshooting niedergelassen und wer auf sowas Lust hat, der wird hier sicher den einen oder anderen schönen Fotospot finden.
Taipeh: Das Mekka für einen Nerd
Viel interessanter ist da Taiwans berüchtigter Ruf als Tekkie-Mekka. Die Taiwanesen sind absolut technikverrückt (wie ich) und selbstverständlich findest du in Taipeh die beste Auswahl: Kleinkram mit zweifelhaftem aber lustigen Nutzen wie USB-Kaffeewärmer, blinkende Roboterkatzen oder Plüsch-Handyhüllen findest du hier genau so, wie ausgereifte Technik der üblichen Verdächtigen a la Apple, Samsung, Asus & Co. Auch wenn du kein Fan von Technikshopping bist, wirst du unter Garantie eine Menge Spaß haben, wenn du durch die Kaufhäuser von Taipeh ziehst. Für den Kleinkram schau doch mal in der Guanghua Digital Plaza vorbei. Direkt im Nachbargebäude, dem Syntrend-Kaufhaus, haben dann die großen Marken ihr Zuhause. Ob mit Drohnen im Haus herumfliegen, Zehntausend-Euro-Kopfhörer ausprobieren, einem Roboter beim Fußballspielen zuschauen oder einen smarten Reiskocher (was auch immer der besser kann) bestaunen: Es wird nicht langweilig. Auch ein Xiaomi-Store findet sich im Syntrend-Kaufhaus. Eine Marke, bei der sowohl Cosi als auch ich am liebsten den ganzen Laden leerkaufen würden und die es bis dato in Europa noch nicht gibt: Vorbeischauen! Kleiner Profi-Tipp: Die Mehrwertsteuer von 5% bekommst du als Tourist bei der Ausreise erstattet, also unbedingt beim Shoppen den Original-Reisepass mitnehmen!
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Technik-Krimskrams -
Ein Xiaomi-Reiskocher -
DJI: Drohnenfliegen Indoor
Ein weiteres Highlight der Stadt soll die nationale Chiang-Kai-Shek-Gedächtnishalle sein. Nun gut, auch das ist nur ein Gebäude, wenn auch ein imposantes dazu. Umgeben von einem Park und vor einem extrem weitläufigen Platz trohnt es in der Mitte des Areals. Es wurde im Andenken an Chiang Kai-Shek, den ehemaligen Präsidenten und Befehlshaber der Republik China errichtet und inmitten der gigantischen Halle trohnt eine überdimensional große Statue des Mannes. Interessant mit Sicherheit, für uns aber kein Highlight.
Viel schöner sind da die Parks in der näheren Umgebung, in denen wir uns mit einem (erstaunlich guten) Supermarkt-Sushi und einem grünen Tee mit Milch niederlassen und das Treiben beobachten. Parks in Asien? Das ist für uns noch immer ungewohnt und denkbar neu, denn nahezu alle Städte auf diesem Kontinent, die wir bisher bereist haben, und das sind so einige, waren absolut zweckmäßig errichtet. Für Erholung ist da kein Platz vorgesehen. Anders in Taipeh, sehr schön!
Der berühmte Taipeh 101 und wo du ihn am besten sehen kannst
Wenn Taipeh oder sogar ganz Taiwan für ein Gebäude bekannt ist, dann ist es der berühmte Taipeh 101, das bis 2007 höchste Gebäude der Welt. Heute immerhin noch Platz 10 auf der Liste der höchsten Gebäude überschattet es alle anderen Gebäude der Skyline von Taipeh bei weitem! Selbst aus dem Flugzeug ein beeindruckendes Gebäude! Zwar kann man auf den Turm drauf (400,00 TWD (ca. 11,81 Euro)), aber dann kann man den Taipeh 101 logischerweise nicht mehr sehen und damit ist das ganze für uns nicht nur zu teuer sondern auch unattraktiv. Eine bessere Gelegenheit, den Turm zu sehen und den Blick über die Stadt schweifen zu lassen, bietet sich auf dem Elephant Mountain (Xiangshan). Knapp 183 Meter (1,5km) geht es hoch und auf der Spitze angekommen findet sich der eine oder andere Fotospot, der allerdings mit aberhunderten chinesischen mehr oder weniger (eher weniger) talentierten Fotografiekünstlern geteilt werden muss. Mein sonst so typisches Chinesen-Bashing muss ich mir hier in Taiwan vermutlich verkneifen. Ich sag nix mehr…
Wer rund um den Sonnenuntergang den Hügel hochkraxelt, der kann die Aussicht einmal vor und einmal nach der Dämmerung mitnehmen. Die vielen hundert Treppenstufen können bei entsprechender Temperatur (bei uns 32 Grad im Mai) eine ziemliche Tortur werden, also Wasser und Mückenspray einpacken!
100% Asien: Die Nachtmärkte von Taipeh
Nachtmärkte in Asien sind etwas sehr Alltägliches: Mit der Dämmerung werden bestimmte Straßenzüge für den Verkehr gesperrt und die Händler bauen allabendlich ihre Stände auf. Von fleischlastig über vegetarisch bis vegan, von "kenn ich" über "will ich" bis zu "im Leben nicht" findest du dort alles, was der Gaumen will. Oder eben nicht will. Besonders spannend finden wir das hier in Taiwan, da sich die Küche dann doch noch einmal deutlich von unserer westlichen Küche unterscheidet. Thaifood etc. kennen wir ja alle, aber hast du schon mal Entenhälse, geröstete Hühnerfüße oder Frösche am Spieß probiert? Nein, wusste ich es doch! Auf den Nachtmärkten in Taipeh wirst du soetwas finden. Aber keine Sorge: Auch traumhaft leckere Lauchzwiebelpfannekuchen, mit dem Gasbrenner gebratenes Rinderfleisch, asiatische Nudelsuppen oder japanische Reiskuchen wirst du dort finden. Für Auge und Gaumen ist ein taiwanesischer Nachtmarkt ein Fest!
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Ja, hier gibt es… -
…Entenhälse! -
Eine Menge Gedränge -
Marius erster Bubbletea
Aber was macht den Charme von Taipeh aus? Vielleicht ist es nicht die schönste aller Städte, vielleicht auch nicht die aufregendste und auch nicht die hippste Stadt. Aber der Flair, den Taiwans Hauptstadt versprüht, ist einfach verdammt cool und irgendwie schwer zu beschreiben. Wer schon einmal dort war, wird mir garantiert recht geben. Taipeh ist entspannt, Taipeh ist gesittet, Taipeh ist sauber und es ist durchdacht. Das ist etwas, das du in einer asiatischen Stadt eher selten finden wirst. Es gibt aufregende Nachtmärkte mit wahnsinnig leckeren und aufregend schmeckenden Dingen, dessen Inhalt du garantiert niemals erfahren wirst, entspannte Abende am Flussufer oder auf dem Elephant Hill, grüne und weitläufige Parks, jede Menge Shopping für Tekkies oder auch Souvenir- und Klamottenjäger und ein tolles Nahverkehrssystem, dass dich überall pfeilschnell von A nach B bringt.
Auch wenn Taiwan auf der Reiseliste vieler Reisender noch immer nicht zu finden ist, sind wir sicher, dass sich das ganz bald ändern wird. Dieses interessante Land wartet nur darauf, entdeckt zu werden und Taipeh ist sein Tor!
Hallo Cosi und Marius,
sonnige Grüße von meinem Balkon in Kiel. Grade habe ich den Artikel über Taipeh gelesen und Taiwan schon jetzt auf meine Reiseliste gesetzt.
Seid ihr noch in Japan? Ich fliege am 18: Juli wieder nach Tokyound am 21. (glaube ich) nach Kitakyushu. Seid ihr dann noch im Lande?
Liebe Grüße aus dem wunderbaren Kieler Sommer sendet
Babette