Und jetzt? Nach zwei Stunden Flug und 1800 Kilometer weiter nördlich stehen Amelie und ich in einer verlassenen Seitengasse und wissen nicht weiter. Zur "Hostel Area" hatte uns der Taxifahrer bringen sollen, da sind wir nun. Ein paar Hunde jagen den Katzen hinterher und aus dem Baum neben uns tönen seltsame und noch nie gehörte Insekten. Es ist Nacht und wir in voller Montur stehen mitten in Chiang Mai und wissen nicht wohin.
Nach einem nicht weiter erwähnenswerten Aufenthalt im grausigen Phuket haben wir uns entschieden, die vier weiteren Tage in dieser Touristenfalle und die anschließende Rückfahrt nach Bangkok verfallen zu lassen und stattdessen einen Direktflug von Phuket nach Chiang Mai im Norden Thailands zu nehmen. Bloß weg von der eimersaufenden Muckibudenmeute! Sowieso hatten Amelie und ich langsam aber sicher die Schnauze gestrichen voll vom zunehmenden Tourismus im Süden des Landes. Es wurde also Zeit für einen Tapetenwechsel. Und den sollten wir bekommen.
Auf dieser verlassenen Straße steht ganz alleine ein schmächtiger Taiwanese und tippert auf seinem iPhone rum. Befremdlich irgendwie in dieser Szenerie. Nach drei Wochen Doppelzimmer haben wir auch genug vom Isoliertsein und so fragen wir ihn, ob er ein nettes Hostel mit Schlafraum kennt. Mit einem Grinsen rät er uns davon ab. Warum, wollen wir wissen. Dort würden es die Backpacker die halbe Nacht miteinander treiben, wenn sie nicht gerade schlafen. Und? Mir doch egal. Ich habe Ohrstöpsel und eine Schlafbrille. Und solange die mir nicht zu nahe kommen, sollen wenigstens sie doch ihren Spaß haben. Und so landen wir in Litas Guesthouse und sind begeistert!
Der Gegensatz zum hochgezüchteten Hotel in Phuket könnte größer nicht sein. Aufgebaut wie eine Scheune findet sich hinter einer Treppe im ersten und einzigen Stockwerk der Schlafsaal. Im "Erdgeschoss" unter dem Schlafsaal ein Sammelsurium aus verschiedensten Sesseln, Hängematten, Tischen, Küchengegenständen. Urig! Hier kommen wir auch endlich mal mit anderen Backpackern in Kontakt. Nach einigen Stunden in Chiang Mai lernen wir zwei Franzosen und einen Bhutaner kennen die uns gleich ein paar sehr nette Ecken in der "neuen Stadt" zeigen. Beseelt von der Ruhe hier lassen wir uns irgendwann spät in der Nacht ins Bett fallen.
Nach einer Nacht im Hostel wachen wir morgens auf prompt lernen ich Chrissi aus Bayern und Isabella aus Österreich kennen. Die zwei brechen gleich am Morgen nach Pai auf. Pai… Das ist der einzige Ort, der uns sowohl zuvor in Deutschland, als auch hier in Thailand immer wieder von allen aufs Wärmste empfohlen wurde. "Fahrt nach Pai" haben sie gesagt, "Passt auf, dass ihr dort nicht versackt" haben sie uns gesagt. Wie recht sie doch haben sollten, denn aus drei geplanten Tagen sollen sieben werden…
So fahren wir mit dem TukTuk zum Busbahnhof und bekommen auf den allerletzten Drücker noch die letzten zwei freien Plätze. Das war es dann aber auch mit dem Glück für diesen Tag. Gerade eingestiegen merke ich, dass ich meine geliebten Kopfhörer im Hostel gelassen habe. Auch kann ich mir keine Ohrstöpsel in das Ohr stecken, da ich mir dort zuvor eine Infektion eingefangen habe. Keine akustische Flucht also. Wunderbar: Dreieinhalb Stunden Fahrt und rein gar nichts zu tun. Und da schlägt erneut das Schicksal zu und platziert hinter mir das wirklich einzige, was ich zwölftausend Kilometer entfernt von der Heimat hier absolut nicht hören möchte: Zwei alte, betrunkene und unlustige Schwaben. Und so dürfen wir uns den halben Tag lang unfassbar schlechte Witze in einem vernichtend dämlichen Akzent anhören. Sowohl Amelie als auch ich sind nach der Fahrt ein absolutes Nervenwrack und nur mit Mühe im Bus nicht eskaliert. Aber wir sollten entschädigt werden!
Der verschlafene Ort Pai
Pai ist ein Traum. Das zweitausend Seelen Dorf mit drei Ampeln aber mindestens zwanzig Bars liegt inmitten eines wunderschönen und weitläufigen Tals. Absolut jeder hier ist freundlich, es wimmelt von Backpackern der entspannten Sorte, es gibt Essen und Trinken an absolut jeder Ecke zu unschlagbaren Preisen und in einer Vielfalt und Qualität, wie ich es noch nie gesehen und genossen habe.
Alles hier geht einen unglaublich gemächlichen Gang und alles und jedes hier ist einfach gemütlich! Das Hostel ist wunderbar, die Hunde liegen mitten auf der Straße, überall gibt es kleine verwunschene Geschäfte, Cafes, Bars, Restaurants und Gästehäuser. Keiner quatscht dich an und möchte dir das Geld aus den Taschen ziehen, alle lächeln und haben gute Laune. Also gleich Hostel herausgesucht, Mofas gemietet und die nähere Gegend erkundet!
Am nächsten Tag steht eine Scooter-Tour in das Pai-Tal an. Tor (auf dem Foto unten vorne links mit der Brille und dem weißen Shirt) ist unser äußerst lustiger und charmanter Barkeeper und heute auch unser Guide. Wir fahren knapp hundert Kilometer durch das Tal, besuchen Bergdörfer, lassen Blicke schweifen und die wirklich sagenhafte Landschaft auf uns wirken. So viel schöner und so viel ruhiger als im Süden ist es hier. Schaltet man die Motoren ab und schweigt man, hört man das, was ich schon seit Wochen suche und so sehr vermisse: Nichts!
Bereits vor der Tour haben wir Peter aus Stuttgart kennengelernt (pinkes Shirt vorne auf dem großen Foto). Mit ihm verbringen wir die folgenden Tage, essen, trinken, feiern, unternehmen Touren, baden in heißen Quellen und machen oft aber auch das, was man in Pai so viel macht: Nichts!
Am nächsten Tag lerne ich Saha aus Kanada kennen und da sich die Meute zu einer weiteren Rundfahrt durch das Tal (diesmal in den Norden) nicht durchringen kann, es ist einfach alles zu gemütlich hier, fahren wir zwei eben alleine los. Wir machen einige Kilometer, bis wir schließlich einen kleinen steilen Pfad entdecken. Wieder packt uns die Abenteuerlust und wir fahren den schlammigen Pfad hinauf. Bei etwa 1800 Metern über dem Meeresspiegel fängt es schon nach wenigen weiteren Höhenmetern an zu regnen. Macht aber nichts, das passt voll und ganz zu diesem Ende der Welt. Auf dem Berg angekommen, bietet sich uns ein sagenhafter Ausblick.
Für etwa 50 Cent bekommen wir hier einen trockenen Sitzplatz und so viel Tee und frische Bananen wie wir trinken und essen können. Stundenlang sitzen wir hier und unterhalten uns über Deutschland, Kanada, Pai, Thailand und noch so viele andere Länder, die wir noch sehen wollen, sehen werden oder schon gesehen haben. Der Gesprächsstoff kann einem auf einer solchen Reise wirklich nicht ausgehen. Und das erste mal seitdem wir gestartet sind, habe ich das Gefühl, irgendwie irgendwo angekommen zu sein.
Es sieht ja traumhaft aus und bei den tollen Texten bekomme ich auch langsam Lust auf Thailand