Schon bei meiner Ankunft auf dem nur einen knappen Quadratkilometer großen Eiland, umgeben vom seichten und unendlichen Blau des pazifischen Ozeans, fiel mir eine Erhöhung mit einem sehr markanten Baum auf. Um ihn wimmelte es von Einheimischen, ja sogar hoch in seiner Krone saßen sie und schwatzten lautstark. Zwar mittlerweile durch monatelanges Reisen deutlich abgehärtet, aber dennoch nicht minder verwundert erkundigte ich mich, was es denn damit auf sich hätte. Ein breites wettergegerbtes Grinsen klärte mich auf: “Vodafone tree”. Alles klar. Der wohl einzige Ort mit Telefon- und Internetempfang weit und breit. Nun verstand ich und zugleich wurde mir klar, dass mein Arbeitsplatz auf diesem paradiesischen Flecken Erde ein außergewöhnlicher sein würde.
Mittlerweile sind sechs Monate vergangen, seit ich in Deutschland meinen Job quittiert und mich entschlossen habe, mein Leben probeweise als Digitalnomade zu führen. Geboren und aufgewachsen als ständig vernetztes und digitalisiertes Kind der Generation Y, habe ich schon früh begonnen, mich für Technologien und insbesondere das Internet zu begeistern. Ich machte mich schnell selbstständig. Meine Arbeiten als Webentwickler wurden stets besser, der Kundenkreis hochkarätiger. Nach dem Abitur machte ich mein Hobby zum Beruf und zog in die Hauptstadt, wo ich mich zum Mediendesigner und –entwickler ausbilden ließ. Hochgezüchtet im Zentrum von Berlin, einem der derzeit wohl besten und erfolgreichsten Kreativhubs dieser Erde.
Viel habe ich gelernt, viel nicht übernommen
Viel habe ich gelernt in den Jahren zwischen Agenturen, Netzwerken und Startups, vieles wurde mir beigebracht, aber vieles auch ausgemerzt. Doch von meinem ersten Arbeitstag in der Agentur bis zum Allerletzten habe ich mich an einen Umstand einfach nicht gewöhnen können: Nicht frei zu sein. Nicht arbeiten zu können, wann man will, wo man will und wie man will. Es gibt Menschen auf dieser Welt, die funktionieren in Büros, funktionieren in Vierzigstundenwochen, funktionieren unter Kunstlicht. Und es gibt uns. Menschen, die ihre Arbeit und in gleichem Maße ihre Freiheit lieben. Die Unabhängigkeit und Rastlosigkeit gegen üppiges Gehalt und Firmenwagen eintauschen. Nur mit einem Laptop unter dem Arm und dem Rucksack auf dem Rücken ortsunabhängig und frei. Man nennt sie treffend Digitalnomaden. Sie sind ein Ausdruck unserer Zeit und dies ist eine ihrer vielen Geschichten.
Digitale Nomaden: Arbeiten im Paradies
Es ist Generatorzeit auf Matacavalevu Island, diesem winzigen und herrlichen Fleckchen Erde. Es gehört zur Inselgruppe der Yasawas und ist Teil der Republik Fidschi im Südpazifik. Drei Stunden am Tag läuft hier ein Dieselgenerator, sorgt für limitierten Strom und schwängert die Luft mit einem so gar nicht idyllischen aber dafür sehr technischen Surren. Mein kleines MacBook Air und das iPhone wollen schließlich gefüttert werden. Ein knappes Kilo geballtes Hightech, mehr braucht es nicht für meinen Job als Entwickler von Websites und Webapplikationen. Gute zehn Stunden kann ich mit einer Ladung arbeiten, das reicht. Schwieriger als die Versorgung mit Strom stellt sich trotz weltweitem Ausbau an vielen Orten der Erde allerdings eine zum Webworking brauchbare Internetverbindung dar. Oft sind die Mobilfunknetze in einem erstaunlich guten Zustand und erheblich schneller und besser verfügbar, als entsprechende WLAN-Netze. Eine am Flughafen bei der Einreise günstig erstandene SIM-Karte mit einem üppigen Datenvolumen schafft hier in den meisten Fällen Abhilfe und lässt den modernen Digitalarbeiter überall dort seinen Dienst verrichten, wo ein Mobilfunknetz aufgestellt ist. Und das ist fast überall.
Noch vor einigen Jahren wäre eine solche Lebensweise kaum möglich gewesen. Der Fortschritt der Technik, die weltweit zunehmende Vernetzung und die Monetisierung des Internet haben maßgeblich dazu beigetragen, Menschen wie mir diese Möglichkeit zu geben. Orts- und weitestgehend zeitunabhängiges Arbeiten boomt mehr denn je. Doch welche Berufe eignen sich für das digitale Nomadentum? Das Netz hat in jüngster Zeit eine Menge neuer Berufsformen und Zweige hervorgebracht. Grundsätzlich können so alle Berufe ausgeübt werden, deren Abwicklung über das Internet stattfinden kann und keinerlei Räumlichkeiten, Gerätschaften oder Mitarbeiter im großen Maße erfordert. SocialMedia-Manager, Berater, Übersetzer, Texter, Grafiker oder Entwickler sind prädestiniert für diese Art des Arbeitens. Digitale Produkte sind gefragter denn je. Das Arbeiten digitaler Nomaden über die Zeitzonen hinweg kann in vielen Fällen sogar ein echter Wettbewerbsvorteil sein, können Auftraggeber und Kunden ihre Aufgaben schließlich “über Nacht” erledigen lassen. Zudem birgt der Zeitversatz den großen Vorteil, dass man während seiner mitunter hochkonzentrierten Arbeit nicht mit E-Mails oder Telefonaten unterbrochen wird. Denn der Auftraggeber schlummert zigtausende Kilometer weit weg selig seinen Schlaf, während seine Arbeit verrichtet wird.
Eine boomende Branche
Die Chance, selbst an abgeschiedenen Orten gleichgesinnte Digitale Nomaden zu finden, steigt. In den letzten Jahren hat sich das Nischendasein dieser Arbeitswilligen mehr und mehr entwickelt. Auch große Medien, wie der Spiegel oder SternTV, haben längst das mediale Potential dieser Menschen und ihres Lebens erkannt. Sogar ein erster Kinofilm – “Digitale Nomaden – Deutschland zieht aus” kam Ende 2014 in die deutschen Kinosäle. Mit der DNX hat die Branche auch ihre erste feste und wiederkehrende Konferenz für digitale Nomaden. Seit Jahren findet sie nun mit großem Erfolg und viel Zuspruch in Berlin statt. Mehrere hundert Menschen in Deutschland machen sich Jahr für Jahr auf, diese Lebens- und Arbeitsweise zu führen - Tendenz steigend. Auf dem heiß umkämpften Arbeitsmarkt für die besten Digitalköpfe hat der Umstand, dass immer mehr Freelancer diesen Vorteil ihres Berufes nutzen und in die Welt hinausziehen, zu einem Umdenken geführt. In einer Branche, in der auf eine Arbeitskraft im Schnitt etwa fünfzehn freie Jobs ausgeschrieben sind, gibt es an den Anforderungen und Wünschen der Arbeitnehmer nun mal kein Vorbeikommen.
Wenn das Internet ausbleibt
Während diese Herausforderungen in der Heimat zunehmend gemeistert werden, stellt die Abgeschiedenheit der kleinen Südseeinsel mich vor unvorhergesehene Herausforderungen. Denn wer sich auf nur wenige Hilfsmittel und ein schlankes Gepäck verlassen muss, für den ist jedes Gepäckstück nun mal unverzichtbar. Vor wenigen Tagen kam ich auf die Idee, mein Smartphone in die Krone des “Vodafone-tree” zu kleben und eine Verbindung über einen mobilen WLAN-Hotspot herzustellen, um mir das leidige Klettern mehrmals täglich zu ersparen. Nicht beachtet habe ich dabei die Tatsache, dass die Januarsonne auf der Südhalbkugel mit Leichtigkeit die Fünfzig-Grad-Marke überschreiten kann. Dies tat sie auch prompt und verwandelte meine gutgemeinte Konstruktion aus Klebeband und Smartphone in Windeseile in einen klebrigen undefinierbaren Klumpen ehemaligen Hightechs. Für einen Digitalnomaden am Ende der Welt stellt das Gerät das Tor zu eben dieser dar, sein Verlust kommt einem Super-GAU gleich. Ohne die notwendige Verbindung verstreichen Fristen tatenlos, werden Kunden ungehalten, leidet der Ruf und damit letztendlich auch Arbeits- und Lebensweise, ja gar die berufliche Existenz. Wenn dies dann noch auf einer Insel passiert, um welche herum es im Umkreis mehrerer hundert Kilometer nicht ansatzweise gleichwertigen Ersatz zu kaufen gibt, verschärft dies die Lage des Digitalnomaden empfindlich.
Im Falle meines zerschmolzenen Smartphones bestand die Lösung dieses Problems darin, mich im achttausend Kilometer und sieben Flugstunden entfernten Hong Kong mit neuem Equipment auszustatten. Hier auf Grund der extrem isolierten Lage des Südseestaates eine sehr aufwendige und teure Lösung, in belebteren und von Digitalnomaden häufiger besuchten Gefilden allerdings wesentlich einfacher zu bewerkstelligen. Sogenannte Coworking-Spaces bieten über eine Monats-, Wochen- oder sogar Tagespauschale einen Schreibtisch, Internet, eine Küche sowie oftmals einen Konferenzraum an. Dort konzentriert sich naturgemäß die geballte Webworker-Szene mit ihrem Equipment, ihrer Erfahrung und all ihren Geschichten. Knapp 2500 solcher Räumlichkeiten gibt es weltweit von San Franzisco bis Shanghai. Etwa ein Zehntel davon in Deutschland, wo wiederum die meisten dieser Angebote auf die Startup- und Boommetropole Berlin entfallen.
Coworking-Spaces sind auf Matacavalevu Island kein Thema. Der kleine Dieselgenerator vermag nur die notwendigsten Gerätschaften wie Ventilatoren oder Kühlschränke mit Strom zu versorgen, vom empfangsreichen Baum abgesehen existiert kein Signal und abseits der schattenspendenden Palmenblätter würde jedes technische Gerät der Hitze in kurzer Zeit nachgeben. Aber neben den technischen Voraussetzungen sind eben auch Kreativität und Energie unverzichtbar für nahezu jede Art von Arbeit. Und wo kann man diese Kraft besser tanken als hier am wahrscheinlich idyllischsten Flecken dieser Erde? Langsam verstummt das Surren des Generators, der Dieseltank ist leer. Ich klappe das MacBook zu, klettere von meiner Palme herunter und nehme noch ein letztes Bad im warmen Pazifik. Morgen geht es weiter nach Sydney, zurück in die Zivilisation. Schöne neue Welt.