Schwarzwald! Das ist das erste, was uns in den Sinn kommt, als wir mit dem kleinen Flughafenbus vom Flughafen Jose Maria Cordova (9.500,00 COP (ca. 2,52 Euro)) die geschlängelten Serpentinen durch das das Umland von Medellin zuckeln. Überall wechseln sich Nadelwälder mit sanft geschwungenen Hügeln ab, rustikale (und sehr schöne) Holzhütten mit Verzierungen und der Duft deutscher Laubwälder erinnern uns wirklich viel mehr an den deutschen Süden, als an das kolumbianische Mittelgebirge, das es ja nun mal ist. Nur die Palmen, die uns am Straßenrand begegnen, die wollen patout nicht in dieses Bild passen.
Aber das Klima, ja das gefällt uns beiden auf Anhieb! Es ist warm wie an der Küste, ein leichter Wind weht aber die Schwüle fehlt! Hier auf 1500 Metern Höhe ist es merklich trockener. Nicht umsonst wird Medellin auch „Die Stadt des ewigen Frühlings“ genannt. Das ganze Jahr über pendelt die Temperatur hier um etwa 26 Grad herum. So findet man in den Häusern weder Klimaanlagen noch Heizungen. Wofür auch?
In, Inner, Poblado
Unsere Unterkunft für die Zeit in Medellin ist das Yolo Hostel . Auch wenn ich mittlerweile Hostels etwas kritischer gegenüber stehe und das erst recht, wenn sie „Yolo“ im Namen tragen, so kann ich dieses Hostel wärmstens weiterempfehlen. Direkt an einem Bach (der den Straßenlärm übertönt) und mitten in Medellins In-Viertel Poblado gelegen, ist dieses wirklich schöne, saubere und vor allem verflucht günstige Hostel mit traumhaft schnellem Internet genau die richtige Wahl für uns! Die Besitzer, kaum älter als wir, sind Freunde und führen ihr recht neues Hostel mit viel Liebe und Herzblut.
Poblado selbst ist ein hochinteressanter Mix aus heruntergekommen und schick in Szene gesetzt. Der Used-Look, der momentan in aller Welt trend ist, kommt dem Viertel unglaublich zugute, denn es ist wirklich „used“! Dennoch aber sehr sauber, sehr aufgeräumt, sehr sicher. Bars und Cafés an jeder Ecke, gut gelaunte Menschen auf der Straße, einfach eine gelockerte Stimmung. Teilweise sind die Preise in den Restaurants dann aber doch ziemlich gesalzen und die Portionen (und das ist noch viel trauriger) mehr als dürftig. Wer selbst einmal vor Ort ist und sich bei der ganzen Auswahl so gar nicht entscheiden kann, dem legen wir wärmstens (!) Massi’s Grab & Go ans Herz! Ein unfassbar sympathisches, italienisches Pärchen hat sich hier niedergelassen. Sie verkauft Hautcremes auf Mariuhana-Basis (der Renner hier), er hat eine kleine Pizzeria aufgemacht, die aber auch kolumbianisches Essen anbietet. Die beiden sind unfassbar freundlich und man kann Massi direkt beim Pizzamachen über die Schulter schauen und sich alles erklären lassen. Die Preise sind mehr als fair (für Poblado) und insbesondere die Nutella-Bananen-Pizza ein unverschämter Traum!
Medellins Vergangenheit ist dunkel
Doch ganz Medellin ist nicht wie Poblado und auch dieser Bezirk war nicht immer so schillernd, wie er es heute ist. Wohl kaum eine Stadt der Neuzeit musste in ihrer jüngeren Geschichte eine derart dunkle Vergangenheit aufarbeiten, wie Medellin. Bis vor wenigen Jahrzehnten galt Medellin als mit Abstand gefährlichste Stadt der Welt. Medellin war das Reich Pablo Escobars, dem mächtigsten und brutalsten Drogenhändler aller Zeiten. Medellin war das Synonym für Drogenkrieg, für Slums, für Gefahr, Mord und Totschlag. Medellin war sein und er war Medellin. Mehr als 6.000 Morde auf offener Straße und öffentlichen Plätzen im Jahr, im Schnitt sechzehn am Tag, ließen selbst Medellins Bewohner die eigenen vier Wände nur im Notfall verlassen. Es hätte ja der letzte Tag auf Erden sein können. So erzählt es uns Hernan mit düsterer Stimme, als wir ihm gespannt und gebannt auf den Stufen des Parlamentsgebäude zuhören. „Eisenfaust“, nennt er den Drogenbaron, damit die Kolumbianer in der Umgebung nicht merken, dass wir über Pablo Escobar reden, denn ihn verachten die meisten hier aufs Tiefste. Hernan, in Medellin geboren, in den USA studiert und selbst durch die halbe Welt gereist, ist für den heutigen Tag unser Guide und möchte uns Medellin, seine Stadt, näher bringen.
„Danke, dass ihr hier seid! Danke, dass ihr mit eurem Besuch und eurer Aufmerksamkeit dazu beitragt, dass wir das Bild von Medellin in der Welt heute ein wenig aufhübschen." Kolumbien sei ein Land, dem voller Vorurteile begegnet werden würde: Nicht mal erinnern könne er sich noch an den letzten Flug, bei dem er nicht einer Drogenkontrolle unterzogen worden wäre, bloß weil er Kolumbianer sei. Hernan nennt seine Stadttour selbst „Transformation Tour“. Warum? Weil er uns zeigen möchte, wie sich seine Stadt gewandelt hat. Medellin ist nicht die Stadt der weltbekannten Sehenswürdigkeiten. Es gibt hier keine berühmten Brücken, Türme, Statuen oder Museen. Medellins Reiz liegt darin, sich neu erfunden zu haben. Den unbedingten Willen sich zu verändern, den spürt man hier in jedem Mauerwerk.
Transformation
Den Städteplanern gebührt meiner Meinung nach der Friedensnobelpreis. Medellin liegt geographisch gesehen äußerst interessant aber auch schwierig in einer gigantischen Talsenke. Wie in einer riesigen Salatschüsseln befindet sich das Herz der Stadt und alle wichtigen Gebäude, Institutionen und das gesamte Stadtleben auf dem Talgrund, wohingegen hunderttausende von monotonen und extrem heruntergekommenen Wellblechhütten die teilweise extrem steilen Berghänge hinaufwuchern. Hier wohnen die Armen der Stadt, die gleichzeitig auch den Großteil der Bevölkerung bilden.
Am städtischen Leben teilnehmen war für ein Großteil der Menschen in diesen Vierteln Jahrzehnte lang nicht möglich. Selbst ein simpler Behördengang oder einfach nur mal auf ein Bierchen mit den Menschen von den anderen Hängen treffen, glich einem tageslangen Gewaltmarsch. So abgehangen wucherte Frust und Kriminalität hier über Generationen. Erst die heutzutage weltberühmte Seilbahn schaffte die Wende. Sie beginnt im gigantischen Naturschutzgebiet Parque Arví (Arvi Park), von dem man einen grandiosen Ausblick über die Stadt hat. Von den obersten Hängen kommend führt sie dann über mehrere Zwischenstops bis in die Talsenke und damit in die Innenstadt.
In nur wenigen Minuten und für umgerechnet bloß ein paar Cent war es ab sofort jedem möglich, sich in Medellin zu bewegen. Zusammen mit der übrigens einzigen Metro Kolumbiens, die durch die Innenstadt führt, hat dieses Bauwerk für einen gigantischen Wandel in der Stadt geführt. So findet man in Seilbahn und Metro nicht ein einziges Fitzelchen Müll, kein Graffiti, keinen Dreck. Die Bewohner lieben ihre Metro und Seilbahn und würden sie niemals beschmutzen, so stolz sind sie. Welch ein netter Gedanke…
“Das Papaya-Level ist drei, Leute“
Weiter geht es durch die Innenstadt. „Das Papaya-Level ist drei, Leute“, raunt uns der Guide zu. Hernan hat eine Papaya-Skala von eins bis fünf entwickelt. Je höher das Papayalevel ist, umso mehr muss man auf seine Wertsachen aufpassen. „Don’t give them Papayas“ heißt hier in dieser Region der Welt so viel wie „Gelegenheit macht Diebe“. Wir halten unsere Kamera ein wenig fester und drehen den Rucksack nach vorne. So ganz transformiert ist Medellin dann eben doch noch nicht.
Vorbei geht es durch enge Straßen voller Straßenstände mit Auslagen zweifelhaften Nutzens. Gebrauchte Fernbedienungen, gepanschter Kloreiniger, geröstete Ameisenhintern zur Potenzsteigerung (kein Witz, siehe Bild), Adidas-Shirts mit zwei Streifen, Puma-Schuhe mit „Pooma“-Schriftzug und ja, selbstgebrannte Pornos: Medellin sei der lateinamerikanische Hotspot für „den größten Scheiß, den ihr euch nur vorstellen könnt“, erzählt uns Hernan.
Und genau im Herzen dieses Viertels voller gefälschtem und illegalem Plunder liegt das ehemalige Gerichtsgebäude. Ein belgischer Architekt hat es vor einigen Jahrhunderten dort hingesetzt, genutzt wird es jedoch heute –wie unfassbar zynisch– als überdachtes Zentrum zum Verkauft von gefälschtem Quatsch und unfassbar nützlichen Dingen wie zum Beispiel Umhängebrüsten… Ein Café bringt uns zum Schmunzeln: Hier bekommt man einen Kaffee für 2.000,00 COP (ca. 0,53 Euro). Bestellt man ihn mit einem „Bitte“, gibts 25% Rabatt und mit einem „Guten Tag“ und einem „Bitte“ zahlt man nur etwas mehr als die Hälfte. Hach, Kolumbien…
Hintern, Brüste und andere obszöne Dinge
Kaum aus dem Gebäude heraus, springt uns ein riesiger Hintern ins Gesicht. Er gehört einer von mehreren Statuen des Künstlers Fernando Botero, der sich in Kolumbien großer Beliebtheit erfreut. Seine Spezialität: Nackte Menschen mit untypischen Körperproportionen. Und so kommt es, dass der komplette Platz voll ist mit seltsam geformten, nackten Statuen. Kolumbianer lieben sie, Touristen lieben sie, wir lieben sie! Streicheln soll übrigens Glück bringen! Na und jetzt raten wir mal alle, welches der folgenden Motive vom ganzen Gestreichel schon ganz hell geworden ist:
Und auch hier wird die Transformation wieder sichtbar. Die Bewohner von Medellin meinen es ernst mit dem Wandel: Besonders düstere Plätze mit noch düstererer Vergangenheit wurden gezielt ausgewählt um sie in etwas neues, helles und modernes zu wandeln. Der Park der Lichter beispielsweise markiert so einen Ort. Früher der gefährlichste Punkt der Stadt, wurde er heutzutage mit gigantischem Bambus bepflanzt und mit Parkbänken versehen. Ein Bambuswald mitten in der Stadt!
Die „Real City Tour“ von Hernan, die wir an dieser Stelle wärmstens empfehlen können führt uns weiter durch die kleinen Gassen der Stadt. An jeder Ecke hat er eine kleine Anekdote parat, erzählt uns alles über die jüngere Geschichte der Kolumbianer. Dienstags, Donnerstags und Sonntags sind wichtige Straßen der Innenstadt für den Autoverkehr gesperrt und so können wir uns ziemlich entspannt durch das Zentrum bewegen. Wir kommen vorbei, an der Comuna 13 (Kommune 13) mit ihren einzigartigen Graffitis, die vom friedlichen Protest ihrer Bewohner gegen die rohe Gewalt erzählen.
Vorbei an einer Metrostation, bei der Hernan völlig beiläufig erzählt, dass hier vor einigen Jahren noch eine Granate elf Menschen in den Tod gerissen hat. Das aber hat eigentlich auch da schon niemanden so richtig interessiert, da die Rebellen, die weite Teile des Landes damals im Griff hatten, am Folgetag im Umland der Stadt ein deartiges Massaker veranstalteten, dass sich der Granatenanschlag schnell aus dem kollektiven Gedächtnis der Kolumbianer löschte. Sowieso sei sein Volk sehr gut im Vergessen, sagt er. Das müsse es auch sein, wie solle man sonst „die ganze Scheiße“ ertragen, die das Land im letzten Jahrhundert durchgemacht hat…
Die gesprengte Taube
Ein –vielleicht sogar DAS– Symbol für die Reinkarnation Medellins sind Fernando Botero’s Friedenstauben. Die überdimensionale Friedenstaube aus Metall wurde 1995 von Terroristen als symbolischer Akt in die Luft gesprengt, das kostete dutzende Menschen das Leben. Um die Stärke des Friedens zu symbolisieren, setzte Botero einfach eine identische und intakte Taube daneben. Das gesprengte Exemplar jedoch ist bis heute ein Mahnmal an die vergangene Zeit.
Hier wird Hernan dann noch ein letztes Mal emotional. Man merkt: Der Mann liebt seine Stadt, liebt sein Volk. Sein Feuer und seine kleine Tour haben uns Kolumbien einen großen Schritt näher gebracht, wie es eben nur Einheimische können. Ein dickes Trinkgeld später ist Hernan wieder in der Menge verschwunden: Rotes Shirt von Adidas, aber vier Streifen. Wie sagte er noch zuvor mit einem breiten Grinsen? „Wir Kolumbianer tanzen Salsa auf der Grenze der Legalität. Und wir lieben es!“
Hi Ihr Beiden,
zeitlich bin ich gerade knapp also sehe ich mir mehr Fotos als Texte an. Und diese - die Fotos - gefallen mir seeehr. Sie sind so schön, dass ich hoffe über Weihnachten die Zeit für Euren ganzen Blog inkl. Texte zu finden.
Passt auf Euch auf!
AL And